Zu viele Recruiting-Studien? – Eva Zils und Wolfgang Brickwedde im Doppelinterview
In den vergangenen Tagen hatten wir die Ergebnisse der Social Media Recruiting Studie von Eva Zils und des Social Media Recruiting Reports von Wolfgang Brickwedde hier von beiden Autoren vorstellen lassen. Insbesondere die Ergebnisse haben in der Schweiz “heftigste” Reaktionen hervorgerufen. Doch heute haben wir beide in einem Doppelinterview befragt. Ich bin gespannt auf die Reaktionen.
Gleich vorneweg die Frage an Euch beide. Warum habt Ihr Euch bei Euren Erhebungen eigentlich nicht zusammengetan und eine gemeinsame Studie veröffentlicht? Oder kommt das 2013?
Eva Zils: Das hatten wir schon mal im letzten und sogar in diesem Jahr zusammen angedacht, und wollten dazu noch ein bis zwei andere Social Media Recruiting Blogger miteinbeziehen. Aus diversen (Zeit-) Gründen hat es für 2012 nicht geklappt, aber wir haben uns das für 2013 fest vorgenommen.
Wolfgang Brickwedde: Tatsächlich haben wir dieses Jahr schon darüber gesprochen. Da wir in 2012 aber noch deutlich unterschiedliche Erhebungszeiträume hatten, paßte es noch nicht. Da Evas Studie sich inhaltlich nur zu ca. 20 % mit meinem ICR Social Media Recruiting Report überschneidet, ergänzen sich die Befragungen so gut, daß wir für 2013 daran arbeiten, eine gemeinsame Befragung durchzuführen.
Eva, was hat Dich an den Ergebnissen des Social Media Recruiting Reports 2012 von Wolfgang besonders überrascht?
Überrascht hat mich nichts, da die Ergebnisse in den meisten Punkten mit denen meiner Studie beinahe übereinstimmen. Daher denke ich, dass die beiden Studien einen guten Überblick zum Stand der Dinge in Deutschland gibt – abgesehen davon, dass wir v.a. das Online-und social-media-affine Publikum erreicht haben. Für 2013 wünsche ich mir, dass wir die Umfrage zusätzlich auch unter den Offline-Personalern und Social-Media-Skeptikern verbreiten. Dann wird das Bild bestimmt diversifizierter.
Wolfgang, was konnte Dich an den Ergebnissen der Social Media Recruiting Studie 2012 von Eva noch überraschen?
Überrascht hat mich auf jeden Fall das Ergebnis, daß im Vergleich zu 2011 die Anzahl der Personaler, die Web 2.0 Methoden einsetzen, von 61 auf 74 Prozent gestiegen sein soll. Diese Zahl kann ich weder in meiner Studie noch in meiner Praxis erkennen. Sie scheint mir deutlich zu hoch und liegt vielleicht in der Zusammensetzung der Teilnehmer begründet, die sicherlich gerne Evas Blog lesen, dann aber doch wohl eine Speerspitze in der Anwendung von Social Media in der Personalerlandschaft darstellen.
Weiterhin wunderte mich wie im letzten Jahr, daß beim allem Buzz um Social Media Recruiting die 45 Prozent der Teilnehmer nach wie vor ohne jegliches Budget für Social Media Recruiting auskommen muss.
Als drittes fiel mir auf, daß laut Evas Ergebnissen, fast ¾ der Unternehmen jetzt schon (50%) aktiv auf der Suche nach Personal im Ausland sind und 22% dies planen. Die Frage hatte ich in meiner Befragung gar nicht gestellt, finde sie aber sehr interessant.
Wo stehen die Unternehmen aus Eurer Sicht derzeit beim Recruiting über Social Networks eigentlich? Habt Ihr für unsere Leser positive Beispiele, welche Ihr als Benchmark heranführen könnt?
Wolfgang Brickwedde: Mehr als 75 % der Unternehmen sind noch gar nicht proaktiv im Recruiting, z.B. in Sozialen Netzwerken wie Xing, LinkedIn oder Facebook, unterwegs! Dies ist eine der Haupterkenntnisse des Social Media Recruiting Reports 2012. D.h., sie verlassen sich noch auf das „Post & Pray“ Recruiting, schalten Anzeigen (Online- oder Print) und hoffen auf Bewerber. Der Anteil der proaktiv rekrutierenden Arbeitgeber ist in den letzten 3 Jahren stark gestiegen und hat sich von 12% auf über 24% mehr als verdoppelt.
Beim reaktivem Recruiting sieht es für Social Media schon deutlich besser aus. Bei der Frage, wo werden Vakanzen veröffentlicht, liegen Soziale Netzwerke bereits auf dem dritten Platz im Ranking und bei den Einstellungsquellen hat sich Social Media innerhalb von 3 Jahren von Platz 7 (kurz vor der Bundesagentur für Arbeit) über Platz 5 auf Platz 4 kontinuierlich vorarbeiten können.
Positiv herausragende Beispiele bei Unternehmen hinsichtlich Social Media Recruiting sehe ich z.B. bei EADS und der Telekom, die extra Spezialteams für das proaktive Recruiting aufgebaut haben. Neben dem Bestreben nach größerer Professionalität hilft offensichtlich auch der Leidensdruck an den Arbeitsmärkten und/oder eine gewisse Affinität zu neuen Medien und Recruitingwegen. So sind grundsätzlich die IT-Branche und die Beratungsbranche deutlich aktiver im Social Media Recruiting als andere. Aber auch die Recruiter in größeren Unternehmen in der Personalüberlassung im Zeit- oder Projektgeschäft wie z.B. Ferchau sind schon seit längerer Zeit erfolgreich aktiv auf der Suche nach potentiellen Kandidaten. Die Bahn plant ihr neu aufgebautes Recruitingteam am Kompetenzmodell des Recruiters 2.0 zu orientieren. Robindro Ullah spricht ja schon von einem Social Medianer in jedem Recruiter.
Was muss aus Eurer Sicht ein proaktiver Recruiter 2.0, wenn wir ihn einmal so nennen dürfen, und eine dazu passende Recruiting-Organisation mit sich bringen, damit sie erfolgreich sein können?
Eva Zils: Ein proaktiver Recruiter 2.0 muss sich auf jeden Fall für alles, was im Web 2.0 geschieht, interessieren. Sozusagen ein Geek mit Personaler-Gen (oder umgekehrt). Die passende Recruiting-Organisation kennt sich mit den (datenschutz-) rechtlichen Belangen aus und schafft die nötige Infrastruktur, z.B. mit Social Media Richtlinien, damit die Recruiter 2.0 bei ihrer Recherche und Ansprache rechtskonform vorgehen können. Es gibt ja nicht nur die Datenschutz-Diskussion im Zusammenhang mit Social Media zu beachten sondern auch Wettbewerbsrecht, Abwerbung, etc.
Wolfgang Brickwedde: Wenn das Recruiting im Web 2.0 stattfindet, dann brauchen wir auch einen neuen Typ von Recruiter, um auch in Zukunft erfolgreiches Recruitment betreiben zu können.
Dieser sucht, um die wirklich guten und passenden zu gewinnen, auch proaktiv nach potentiellen Kandidaten. Zu diesem Zweck kennt und nutzt der Recruiter 2.0 sämtliche Rekrutierungskanäle. Er versteht seinen (Arbeits-) Markt und sein Business, damit er den Fachvorgesetzten als strategischer Partner aktiv unterstützen kann. Hierbei nimmt der Recruiter 2.0 nicht mehr wie früher nur die Rolle eines Dienstleisters ein, sondern agiert vielmehr als Berater.
Neben diesen beratenden Tätigkeiten beherrscht der Recruiter 2.0 insbesondere den sicheren Umgang mit sozialen Netzwerkplattformen (XING, LinkedIn, Facebook, Google+ etc). Darüber hinaus ist ein Recruiter neueren Profils auch immer zur Hälfte ein Verkäufer, d.h. er „verkauft“ in enger werdenden Märkten den Bewerbern den Arbeitgeber und den Arbeitsplatz und die vorausgewählten Bewerber ggü. dem Fachvorgesetzten.
Ein Kompetenzprofil des Recruiter 2.0 existiert bereits, mißt die aktuellen Fähigkeiten der Recruiter und zeigt Trainingsfelder auf. Dieses Skillset besteht aus 18 Skills insgesamt, 9 funktionalen und 9 geschäftsbezogenen. Anhand dieses Profils haben sich bereits über 500 Recruiter testen lassen. Wie weit die Recruiter bereits sind, zeigt der Recruiter Quality Report 2012.
Die Recruiting-Organisation selber muß sich abhängig von der kritischen Masse der Einstellung entscheiden, wer die Funktionen eines Recruiters 2.0 übernehmen soll: der Personalreferent als Teil seiner Tätigkeit, spezialisierte Recruiter auch als integraler Teil ihrer Tätigkeit oder vielleicht können Teile der Recruiter 2.0 Tätigkeit, das sogenannte Sourcing, auch von noch weiter spezialisierten Teams oder Personen in oder außerhalb der Organisation übernommen werden.
Wie sieht für Euch ein idealer Online Mix in der Personalbeschaffung (Recruiting, Employer Branding, Personalmarketing) nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis bei den derzeitigen Gegebenheiten (wenig Budget, geringe Ressourcen) aus?
Wolfgang Brickwedde: Gerade bei einem übersichtlichen Budget gilt es, daß Beste herauszuholen, also den effektivsten Kanal zu nutzen. Woher weiß ich, was der effektivste Recruiting-Kanal ist?
Das beginnt praktisch mit der Messung der Effizienz und Effektivität der Kanäle, also wie viele Einstellungen kann ich zu welchen Kosten über z.B. Onlineanzeigen, Xing-Kandidaten-Suche oder meine Facebookpräsenz realisieren. Sobald ich daraus eine Rangfolge bestimmt habe, kann ich einen idealen (= Recruitingkanäle mit den niedrigsten Kosten-pro-Einstellung-Verhältnis) Mix zusammenstellen. Sobald ich die Reihenfolge erkannt habe, kann ich meine unterstützenden Employer Branding und Personalmarketing-Aktivitäten auf diese Kanäle konzentrieren.
Eva Zils: Ein Online Mix mit wenig Budget und geringen Ressourcen wird nie ideal sein. Ohne Budget muss sehr viel selbst gemacht werden, sodass die eigentliche Recruiting-Arbeit über kurz oder lang auf der Strecke bleibt. Dadurch werden die offenen Stellen nicht besetzt, und irgendwann muss der Recruiter seinem Vorgesetzten erklären, weshalb die gesuchten Kandidaten noch immer nicht eingestellt worden sind. Da tut sich ein Teufelskreis auf. In diesem Sinne besteht eine gute und erfolgreiche Mischung daraus, ein wohl-organisiertes Gleichgewicht zwischen Eigenarbeit für Online-Aktivitäten – wobei in der Frage nicht klar wird, ob es sich hier um reine Social Media Aktivitäten, Online-Anzeigen oder proaktive Ansprache über Netzwerke geht – und Tagesgeschäft herzustellen.
Welche Rolle spiele derzeit und in Zukunft die eigene Karrierewebseite eines Unternehmens?
Eva Zils: Ich hoffe, dass diese endlich die Rolle spielt, die sie schon immer hätte spielen sollen: nämlich die, als zentrale Anlaufstelle für Bewerber zu fungieren, die über Online-Anzeigen oder proaktive Recruiting-Aktivitäten auf das Unternehmen aufmerksam geworden sind und sich bevor sie sich bewerben, über den potenziellen neuen Arbeitgeber informieren.
Wolfgang Brickwedde: Die eigene Karriere-Website eines Arbeitgebers sollte heute und in der näheren Zukunft den Fokuspunkt der Recruiting-Aktivitäten bilden. Nur dort hat man die Bandbreite der Informationen und Interaktionsmöglichkeiten in der eigenen Hand und ist nicht den Restriktionen der Sozialen Netzwerk Betreibern unterworfen. Das Motto könnte sein „Alle Möglichkeiten der jeweiligen Sozialen Netzwerke zum Engagement mit potentiellen Interessenten nutzen, aber diejenigen, die größeres Interesse zeigen, auf die Karriere-Website lotsen.
Schauen wir auf das Phänomen Mobile Recruitment. Warum ist es aus Eurer Sicht bisher bei so wenigen Unternehmen in der Realität angekommen?
Wolfgang Brickwedde: Zunächst einmal hat Mobile Recruitment ja primär nichts mit Social Media Recruiting zu tun. Hier geht es um die Verfügbarmachung der Karriereinformationen und möglichen Engagementinitiativen auf den von Bewerbern und potentiellen Kandidaten genutzten mobilen Endgeräten.
Arbeitgeber haben die Erforderung der Beschäftigung mit Mobile Recruitment noch nicht erkannt. Falls Sie mal nachschauen würden, wie viel Prozent der Zugriffe auf ihre Karriere-Website bereits über mobile Geräte erfolgt, wären sie überrascht. In den USA sind es bereits 30-40 Prozent. Es gilt wie immer im Recruitment „Der Köder muß dem Fisch schmecken und nicht dem Angler“. D.h. wenn der Bewerber die Karriereseite des Arbeitgebers auf dem Weg zur Arbeit oder Uni nicht sinnvoll anschauen kann, dann ist er oder sie für das Unternehmen verloren und geht zu den Arbeitgebern, die hierzu etwas anzubieten haben.
Eva Zils: Mobile Recruiting, das belegen unsere beiden Studien, ist auf jeden Fall in den Köpfen der Personalverantwortlichen angekommen. Dies ist ein Anfang, und zeigt gerade im Vergleich zu anderen Ländern (dies wird zum Beispiel in meiner Schweizer Social Media Recruiting Studie deutlich), dass den HRlern klar ist, dass hier etwas getan werden muss. Ich gehe davon aus, dass sich die meisten noch zurückhalten, weil sie schlichtweg keine passende Lösung für dieses Medium zur Hand haben. Sollen sie eine eigene Job-App lancieren? Sollen die HR-Seiten optimiert werden? Wie passt das in den Web-Gesamtauftritt der Firma? Sollte eventuell eine eigene Karriere-Domain betrieben werden? Lohnt sich ein-App Advertising? Und was ist diese Geo-Lokalisation, von der so viele sprechen? Dies sind alles Fragen, die teilweise bisher noch nicht einmal vom E-Commerce vollständig beantwortet werden können. Und HR, das wissen wir, hinkt gerne bei modernen Technologien etwas hinterher – das ist keinesewgs negativ gemeint, denn nicht jeder technologische Trend eignet sich fürs Recruiting, daher ist das sinnvolle Abwägen eines Online-Trends für den Bereich HR, der normalerweise eher schwächer budgetiert wird als andere Unternehmensbereiche, eine Pflichtaufgabe für HR-Verantwortliche.
Und schauen wir zum Schluss noch einmal in die kleine Glaskugel. Was wird uns insbesondere im Jahr 2013 in der Praxis des Recruitments besonders beschäftigen?
Eva Zils: Mobile Recruitment, denn diesen Trend sollte HR wirklich nicht verschlafen 🙂
Wolfgang Brickwedde: Social Media Recruiting wird sicherlich auch 2013 auf der Agenda bleiben, da sich viele Unternehmen überlegen, was sie tun können, wenn sie auf reaktiven Recruiting-Wegen nicht mehr so vielen geeignete Bewerber bekommen wie gewünscht.
Einiges an Gehirnschmalz bei Recruitingleitungen wird sicherlich auch wieder in Employer Branding und Personalmarketing fließen, um sich von der Konkurrenz abzuheben und bei der jeweiligen Zielgruppe wahrgenommen zu werden.
Ein genereller Trend ist die „Professionalisierung des Recruitments“ und die damit verbundene „Erfolgsmessung im Recruiting“. D.h. wie können wir mit gegebenen Mitteln mehr neue Mitarbeiter einstellen? Erste Schritte in Richtung Professionalisierung gehen einige Unternehmen bereits, indem sie ihre Recruitingorganisationen zentralisieren – bezogen auf Finanzierung, Durchführung sowie den Einsatz von dezidierten, spezialisierten Recruitern steigern.
Danke Euch Beiden, für Eure Antworten und für das kleine „Experiment“ mit dem Doppelinterview.
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