Warum Social Media Recruiting noch nicht funktioniert
An diesem Mittwoch erzeugte Mr. Media Thomas Koch mit seinem Artikel “Warum Online-Werbung nicht funktioniert” auf dem W&V-Blog eine hohe Aufmerksamkeit in der Werberszene. Schon am nächsten Tag folgte die zu erwartende Replik, hier von Jan Steinbach, Managing Partner von Xengoo Consulting, in seinem Artikel “Schweinepest gegen Vogelgrippe”. Wir sehen hieran, auch in den höchsten Marketing-Kreisen wird über die Effizienz von Online heftigst diskutiert. Doch was hat dies jetzt mit Social Media Recruiting zu tun? Nichts! Nein, ein bisschen schon, am Rande. Ich möchte heute die Ergebnisse des gerade erschienenen Social Media Recruiting Reports von meinem geschätzten Kollegen Wolfgang Brickwedde vom ICR einmal kritischer als sonst unter die Lupe nehmen und das eine oder andere Ergebnis entsprechend für mich persönlich einordnen und mit der aktuellen Entwicklung im Markt vergleichen. Denn Euphorie ist für mich beim Thema Social Media Recruiting derzeit wirklich noch nicht angesagt. Dafür passiert mir noch viel zu wenig.
Hierzu habe ich mir einzelne Thesen der Management Summary einmal genauer angeschaut und mich dabei immer wieder gefragt, können die Unternehmen Social Media Recruiting wirklich schon. Sehen Sie selbst.
Mehr Infos und den Download zur Studie gibt es hier.
Einordnung in die TOP Themen 2013
„Die Rekrutierung von Berufserfahrenen vor der Verbesserung des Images als Arbeitgeber sind die beiden Top Themen für 2013. Social Media Recruiting konnte sich mit Platz 5 um zwei Plätze verbessern. Beim Ranking der wichtiger gewordenen Themen mußte Social Media Recruiting den Spitzenplatz wieder dem Dauerbrenner Employer Branding / Arbeitgeberimage überlassen.“
- Woran unterscheiden HR’ler die Themen “Recruiting von Berufserfahrenen”, “Professionalisierung des Recruitments” und “Social Media Recruiting” in der Praxis denn überhaupt? Für mich hängen alle Maßnahmen konzeptionell und operativ sehr eng zusammen.Ich würde daher besonders darauf achten, diese Themen nicht in einzelne, voneinander getrennte Schubladen der täglichen HR-Arbeit zu sortieren. Eine praxisorientierte Einordnung des Social Media Recruitings ist daher aus meiner Sicht sehr entscheidend für die weitere Berichterstattung.
Proaktivität der Unternehmen
„Vorherrschend ist die Schaltung von Anzeigen in Print – und/oder Online-Medien. Dies wird von ca. 90 % der Unternehmen regelmäßig genutzt. Zusätzlich zu diesem Weg, nutzen mittlerweile ca. 50 % der Unternehmen häufig oder immer proaktive Wege bei der Kandidatenansprache.“
- Proaktivität im Recruiting, was ist das eigentlich? Suche ich hierbei explizit bei XING oder Linkedin offensiv nach neuen Kandidaten oder gehört der Hintergrundcheck der Kandidatenprofile von Bewerbern auch schon zur Proaktivität? Die 50 Prozent Proaktivität irritieren mich auf jeden Fall und ich stelle diese Zahl aufgrund meiner Erfahrungen in der Praxis definitiv in Frage. Wahrscheinlich haben 50 Prozent schon einmal bei einer Stelle zusätzlich proaktiv gesucht, jedoch machen dies die Unternehmen nur bei wenigen Vakanzen. Und so ordnen sich die Zahlen wahrscheinlich wieder stärker in die Realität ein.
Selbstverständnis zum proaktiven Recruiting
„Nur etwas über 40% der Unternehmen können von sich behaupten: „Wir sourcen die besten Kandidaten“. Hier scheint noch Luft nach oben zu sein.“
- Mit dieser Aussage zum Sourcing der besten Kandidaten tue ich mich besonders schwer. Was sind denn die besten Kandidaten? Ich kann dies gar nicht beantworten. Und Sie? Daher lassen Sie uns keine Messlatten aufhängen, die praktisch gar nicht zu erreichen sind. Zur Qualität der Bewerberauswahl gibt es aktuell spannende Beiträge von Henrik Zaborowski und Stefan Scheller. Beide Artikel kann ich Ihnen nur empfehlen.
Nutzungsunterschiede nach Unternehmensgrößen
„Auffallend ist, daß entgegen der landläufigen Meinung, nur die Konzerne hätten Zeit und Geld für Social Media, die kleinen und die ganz großen Unternehmen überdurchschnittlich häufig Social Media Plattformen für Recruiting nutzen.“
- Hier bleibt mir nur noch einmal die aus unserem Alltag bekannte Aussage zu zitieren: Die Größe ist nicht entscheidend! Die Schnellen und Kommunikativen werden im Social Recruiting in Zukunft die Nase vorn haben. Vergessen Sie die Größe, machen Sie Ihr Unternehmen durch effiziente Recruitingprozesse und eine bessere in- und externe Kommunikation social-media-reif.
Wo werden Stellenanzeigen geschaltet?
„E-Recruiting beherrscht den Kommunikationsmix auf den ersten drei Plätzen. Online-Jobbörsen liegen vor der eigenen Karriereseite und Social Media Business Netzwerke.“
- Hallo! Personaler seid Ihr mit Euren Gedanken wirklich voll bei der Sache gewesen oder wer hat die Befragung ausgefüllt? Über 60 Prozent schalten die Anzeigen bei der Bundesagentur für Arbeit! Yeah!!! Und über 70 Prozent in Social Media Business Netzwerken bei XING und Linkedin. Spitze! Beides würde ich gerne einmal in der Praxis sehen. Und wenn dies mit der Bundesagentur für Arbeit wirklich so wäre, dann sage ich nur noch “Prost Mahlzeit, liebe Personaler!“ Gut Ding will halt Weile haben! Und warum schalten eigentlich so viele Unternehmen in den Online-Jobbörsen? Waren die Jahrespakete mal wieder günstiger gewesen und schnell noch ein paar Vakanzen mehr reinpacken. Egal, ob die freie Stelle zur Jobbörse passt oder nicht. Oh, Personaler, nutzen Sie zum einem Ihre Karrierewebseiten aktiver und verbesseren Sie dabei SEO (die Suchmaschinenoptimierung). Die (Job-)Angebote auf den Karrierewebseiten sollten noch mehr und direkter gefunden werden. Doch agieren Sie vor allem viel konzeptioneller und spezifischer in der Welt des E-Recruitings. Und wenn Sie von der Bundesagentur für Arbeit begeistert sind, können Sie Social Media Recruiting getrost vergessen. Zumindest für die kommenden Jahre!
Woher kommen die Einstellungen?
„1 von 10 Stellen werden über Social Media Netzwerke besetzt. Damit ist Social Media der Shootingstar bei den Einstellungsquellen. Dieser Kanal ist in drei Jahren von Platz 7 auf Platz 3 gestiegen und weist die höchsten Zuwachsraten auf!“
- Auch hier bleibt festzuhalten, dass vor allem die eigene Karrierewebseiten noch viel mehr ungenutztes Potenzial hat. Doch insgesamt bin ich bei diesen Zahlen immer wieder sehr vorsichtig, da sehr häufig die Bewerber mehrere Berührungspunkte beim Informations- und Recruitingprozess mit den Unternehmen hatten. Dies können Social Media Netzwerke, Mitarbeiterempfehlungen, Online Jobbörsen und Karrierewebseiten parallel oder zumindest kurz hintereinander gewesen sein. Doch welcher davon war dann der entscheidende für die Einstellung? Auf den richtigen Mix kommt es an!
Ausgabenänderungen
„Für Social Media Business Netzwerke (Xing und LinkedIn) (ca. 50%) sowie für Mitarbeiterempfehlungen (30%) und Online-Jobbörsen (27%) werden die Unternehmen im Durchschnitt in 2013 mehr Geld ausgeben. Ausgaben gekürzt werden bei Stellenanzeigen in Printmedien, Personalberatungen und externen Sourcingdienstleistern.“
- Doch wie viel Geld soll nun mehr ausgegeben werden? Verbirgt sich dahinter ein Testballon für Stellenanzeigen bei XING bzw. Linkedin oder schon ein strategischer Social Recruiting Ansatz? Auch hier gilt es nachhaltigere Konzepte für das allumfassende Recruiting zu entwickeln, um somit für das zukunftsorientierte Recruiting besser gerüstet zu sein.
Erfolgsmessung der Social Media Recruiting Aktivitäten
„Weniger als die Hälfte der Unternehmen mißt die Erfolge ihrer Social Media Recruiting Aktivitäten. Nur etwa jedes 10. Unternehmen mißt detaillierte Kennzahlen zum Social Media Recruiting auf Recruiterebene. Die Unternehmen mit einer höheren Recruiting-Qualität messen deutlich häufiger, ob ihre Recruiter proaktive Kanäle fürs Recruiting nutzen.“
- Na, wie viele Unternehmen messen denn nun den Erfolg im Social Media Recruiting? Etwa 10 Prozent scheinen mir auch relastisch zu sein. Hier mangelt es bei den Unternehmen noch sehr stark an den internen Prozessschnittstellen, um auch mögliche Erfolge im Social Media Recruiting überhaupt feststellbar zu machen. Hier gibt es noch viel zu tun.
Mein Fazit:
Eine solche Studie finde ich insgesamt sehr wichtig und anregend für weitere Diskussionen. Insbesondere Wolfgang Brickwedde vom ICR arbeitet hier sehr kontinuierlich an diesem Thema. Solche Studien befürwortete ich daher absolut. Doch sollten wir bei all den Studien die Ergebnisse immer in den richtigen Kontext stellen und jeder für sich entsprechend für sein Unternehmen interpretieren und richtig in die Recruitingrealität einordnen. Reine Prozentzahlenhascherei verunsichert den allgemeinen Recruiter da draussen. Social Media Recruiting ist keine von den anderen Aufgaben im Recruitmentprozess losgelöste Disziplin, die man jeweils in eine Schublade stecken kann. Social Media Recruiting ist eine ergänzende Form des Recruitings, wo ich den sozialen Charakter in der Onlinewelt mir als Unternehmen zunutze mache. Und wenn ich dies proaktiv in meinem Unternehmen nutzen kann, dann kann ich damit auch entsprechende Erfolge erzielen.
Hier noch einmal der Link zum Download der Studienergebnisse.
Hallo Lutz,
auch meinen Dank für den klasse Artikel hier. Die anderen Kommentatoren haben sonst bereits alles gesagt. Bleibt mir nur der Hinweis, dass ich Wolfgang auch ein paar Fragen zu seinem Report gestellt habe. Siehe hier: http://bit.ly/1byKHRt
Viele Grüße, Christoph
KLASSE Zusammenfassung!
Hallo Herr Altmann, Danke für das Entfachen dieser kritischen Diskussion und die Reflektion! So ist es – Social Recruiting ergänzt und unterstützt das bestehende Recruiting.
Auch ich kann mir nicht vorstellen, dass in Deutschland 50% der Personaler Talent Sourcing betreiben und Kandidaten proaktiv kontaktieren|ansprechen|anschreiben. Entspricht nicht meiner Erfahrung.
Damit möchte ich aber keinesfalls die Studie in Zweifel ziehen. Im Gegenteil, sie ist sehr wichtig, da sie auch Aufschluss über die Selbsteinschätzung gibt. Und meine Interpretation der Zahlen lautet: Da scheint etwas mit dem Selbstbild der Personaler, die geantwortet haben, mit dem oder zumindest meinem Fremdbild nicht übereinzustimmen.
Meine Meinung ist: Für einen kleinen Teil dieser ‚Proaktiven‘ ist der Wunsch der Vater der Gedanken (ok und ein bißchen Show-Bizz… ). Aber für den größeren Teil liegt‘s eher an einem Definitionsproblem: Sie sehen Social Recruiting nur als Social MEDIA Recruiting – und hoffen, dass es sich hier um Tools oder einfach anzuwendende Methoden handelt. Sie sehen nicht den Fakt, dass Social Recruiting eine Fähigkeit und ein Knowhow ist oder wollen es nicht sehen.
Somit sind auch die Antworten in der Studie verwischt. Ich höre auch nicht selten die Behauptung: Wir betreiben schon Active Sourcing, weil wir aktiv (!) Anzeigen in Social Media schalten und diese twittern.
Wir haben zwar noch einen deutlichen Weg vor uns –aber das Bewußtsein hat sich geändert. Nun wird (sogar ‚proaktiv‘) geschönt – also heißt das: Es wird wahrgenommen, dass eine Veränderung im Gange ist. Ist zwar kein Quantensprung. Aber think positiv: Der Zug rollt.
Beste Grüße
Barbara Braehmer
Und kurz vor dem Wochenende ist mir noch die nachfolgende aktuelle Studie über den Weg gelaufen:
http://www.handelsblatt.com/unternehmen/buero-special/recruiting-trends-2013-zeitungsanzeigen-verlieren-immer-weiter-an-bedeutung/8864424.html
Darin ist die gehypte Einstellung von Bewerbern aufgrund der Social Media Aktivitäten das Schlusslicht, insgesamt mit einer Erfolgsrelevanz von unter 5%.
So ist das mit den Studien …
Hallo Herr Altmann,
Ihre Kritik finde ich berechtigt. In der Tat hängen “Recruiting von Berufserfahrenen”, “Professionalisierung des Recruitments” und “Social Media Recruiting” zusammen. Das Stichwort würde aus meiner Sicht lauten: Recruiter Next Generation. Ich spreche die Bewerber dort an, wo sie angesprochen werden können – und wollen. Und ich spreche sie in ihrer Sprache an. Soweit zur „Professionalisierung des Recruitments“. „Proaktivität“ sehe ich auch nur begrenzt. „Die Schnellen und Kommunikativen werden im Social Recruiting in Zukunft die Nase vorn haben“ – Ja, so ist es.
„…da sehr häufig die Bewerber mehrere Berührungspunkte beim Informations- und Recruitingprozess mit den Unternehmen hatten…“ – genau darum geht es! Diese Candidate Experience sollte frei von Brüchen sein, was Recruiter zukünftig noch stärker fordern wird als heute schon.
Beste Grüße, Helge Weinberg
Muss wohl was dran sein. 😉
In der Form schon, ja. Finde ich zumindest 🙂
Ist dies echt so ungewöhnlich? 😉
Lieber Lutz,
ungewöhnlich kritische Worte, die aber zu Recht. Was ich mit Sorge betrachte ist die Tatsache, dass diese Ergebnisse von den wenigsten so kritisch reflektiert werden und nun alle damit titeln, das SM Recruiting nun den Durchbruch geschafft hat. Auch muss man ja immer schauen, wer eigentlich befragt wurde (und wie). Gut, dass du das so dezidiert auseinander gepflückt hast.
Tolle Analyse, mehr davon!
Grüße aus Wiesbaden,
Henner
Danke für das kritische Statement. Ich sehe das genauso: Die getroffenen Aussagen zum Erfolg der Social Media Aktivitäten stimmen mich als Praktiker in einem Unternehmen mit 6.500 Mitarbeitern und zahlreichen Aktivitäten im Bereich Personalmarketing und Recruiting durchaus skeptisch. Eine über Facebook eingegangene Frage, die von den Social Media Managern beantwortet wurde, mag ein Teil der erfolgskritischen Kontaktpunkte im Recruitingprozess sein. Aber ob die Einstellung tatsächlich (nur) wegen dieses Social Media Kontakts zu Stand kam, wage ich zu bezweifeln. Daher sollte diese auch nicht als „Besetzung aufgrund von Social Media Aktivitäten“ verbucht werden.
Trotzdem ist sowohl die Studie als auch dieser Beitrag eine schöne Grundlage für die weitere Diskussion – nicht nur auf unseren Blogs.
Hallo Herr Altmann, herzlichen Dank für diese ausführliche und kritische Betrachtung der Ergebnisse (und auch den Hinweis auf meinen Artikel!). Ich hab’s nicht so mit Zahlen, daher fiel es mir schwer, zu den Studienergebnissen wirklich was zu sagen. Schön, dass Sie das jetzt gemacht haben. Auch ich habe große Zweifel, wie sehr Social Media Recruiting wirklich schon in den Unternehmen Einzug gehalten hat. Und Sie haben vollkommen Recht: Vieles gehört zusammen und muss ganzheitlich betrachtet werden. Aber davon sind wir in der Praxis denke ich noch weit entfernt. Beste Grüße, Henrik Zaborowski