Kreativ trotz Krawatte
Jens-Uwe Meyer hat Deutschlands ungewöhnlichste Berufsbezeichnung: Ideeologe. Mit seiner Firma die Ideeologen zeigt er Unternehmen wie Volkswagen, der DekaBank, Microsoft und Nestlé, wie sie auf neue Ideen kommen. Als langjähriger US-Korrespondent und Chefreporter von Pro Sieben ist er einer der renommiertesten Experten für kreative Kommunikation. Meyer hat einen MBA in Medienmanagement und unterrichtet Manager im MBA-Curriculum der Handelshochschule Leipzig (HHL). Er ist Autor von sechs Büchern und zahlreichen Fachartikeln, die unter anderem im Harvard Business Manager, der FAZ und der WELT veröffentlicht wurden.
Zuletzt erschienen seine Bücher „Das Edison-Prinzip“, welches die faszinierenden Denktechniken des Erfinders der Glühbirne vorstellt sowie „Kreativ trotz Krawatte“, das zeigt, wie Unternehmen eine Innovationskultur aufbauen können.
Kreativ trotz Krawatte – warum es Unternehmen so schwer haben, auf neue Ideen zu kommen
Da suchen Unternehmen die klügsten Köpfe, stellen sie ein, entwickeln modernste Analyse- und Marktforschungsinstrumente und stehen am Ende trotzdem oft ohne neue Ideen da. Warum? Eigentlich ist doch alles da. Eigentlich. Denn Unternehmen haben häufig ein Problem: Die Flut der Analyseinstrumente, der Prozesse und der festen Strukturen, die sie brauchen, um das operative Geschäft voranzutreiben, hat mittlerweile das verdrängt, was Menschen wie Walt Disney, Thomas Edison und Albert Einstein ausgezeichnet hat: Die Überzeugung ein Ziel zu verfolgen, an das Unmögliche zu glauben und Regeln zu brechen statt sie blind zu befolgen. Stattdessen wird die nächste Analyse vorbereitet, die nächste Umfrage gestartet, der nächste Prozessschritt definiert.
Es ist das passiert, was Wissenschaftler wie Teresa Amabile seit Jahren voraussagen: Unternehmen haben sich selbst unfähig gemacht, neue Ideen zu entwickeln. „Kreativität wird viel häufiger getötet als gefördert“, so Professorin Teresa Amabile von der Harvard Universität, die seit mehr als 30 Jahren den Zusammenhang zwischen Kreativität und Arbeitsstrukturen untersucht. „Meistens geschieht das nicht, weil Manager eine Aversion gegen Kreativität haben. Im Gegenteil: Viele glauben an den Wert von neuen und nützlichen Ideen. Allerdings wird Kreativität unabsichtlich jeden Tag durch eine Arbeitsatmosphäre unterlaufen, die – aus guten Gründen – zur Maximierung geschäftlicher Notwendigkeiten wie Koordination, Kontrolle und Produktivität errichtet wurden. Um ihre geschäftlichen Ziele zu erreichen entwickeln sie Organisationen, die systematisch Kreativität zerstören.“ Langsam beginnt nun ein Umdenken in den Managementetagen. Methoden, die noch vor wenigen Jahren als verrückt abgetan wurden, halten Einzug in die Chefetagen.
Was die weltweit innovativsten Unternehmen anders machen
Ideenfindung ist kein normaler Prozess. Denkprozesse folgen einer anderen Logik als Produktionsprozesse. Und sie lassen sich nicht mit den herkömmlichen Methoden rationalisieren und berechnen. Stattdessen haben Unternehmen wie etwa Research in Motion (Blackberry), Disney, Samsung, Amazon und die indische Tata Group eine Kultur geschaffen, mit der Kreativität fest verankert wird. Gemeinsam mit dem Lehrstuhl für strategisches Management der Handelshochschule Leipzig haben wir als Grundlage des Buches „Kreativ trotz Krawatte“ eine Studie durchgeführt und die Innovationskultur der weltweit innovativsten Unternehmen untersucht. Dabei sind wir auf spannende Ergebnisse gestoßen, die herkömmliche Managementkonzepte auf den Kopf stellen. Eine der wichtigsten Erkenntnisse der Studie ist, dass in hochinnovativen Unternehmen ein komplett anderes Verständnis von Innovation herrscht: Wenn in Unternehmen üblicherweise über Innovation gesprochen wird, wird dieser Begriff häufig mit Innovationsmanagement gleichgesetzt. Unternehmen suchen nach Tools und Prozessen, die sie innerhalb bestehender Strukturen umsetzen können. Für die von uns untersuchten Unternehmen bedeutet Innovation etwas anderes: Tools und Prozesse sind kopierbar. Die dahinterstehende Kultur nicht. Nicht umsonst heißt es über Google, die „außergewöhnliche Organisationskultur“ sei die „Seele des Unternehmens“. Die kreative Grundeinstellung ist auch die Wurzel der kreativen und innovativen Unternehmensstrategie von Disney. Das Unternehmen hat ein eigenes Institut, dessen Ziel unter anderem darin besteht, Kreativität und Inspiration zu fördern. Und selbst der Bankkonzern HSBC betrachtet die Gruppenkultur – die einzelnen Länder und Regionen handeln praktisch unabhängig voneinander – als Wettbewerbsvorteil. Anders gesagt: Die analysierten Unternehmen haben Kreativität tief in ihrer DNA verankert. Tools und Prozesse dienen nicht dazu, kreative Denkprozesse auszulösen, sondern sie so gut es nur irgendwie geht zu unterstützen.
Die Ebenen einer Innovationskultur
1. Innovation. Ohne Kompromisse.
Können Sie sich vorstellen, dass Apple-Chef Steve Jobs eine Bühne betritt und folgenden Satz sagt? „Aufgrund des generell schwierigen Marktumfelds haben wir uns entschlossen, unsere Innovationsanstrengungen zunächst einmal zurückzustellen.“ Unvorstellbar. Die weltweit innovativsten Unternehmen schreiben das Wort „Innovation“ nicht einfach nur in ihre Unternehmensstrategie. Sie haben es so tief in ihrer Unternehmensstrategie verankert, dass jede Umkehr einem Schock gleichkommen würde.
2. Einzigartige „magische“ Werte
„Glaube daran, dass Du die Welt verändern kannst.“ „Leiste jeden Tag einen Beitrag.“ „Radikale Ideen sind keine schlechten Ideen.“
Was klingt wie Beschwörungsformeln sind die Unternehmensgrundsätze von Hewlett Packard. Diese Werte werden bei jeder Gelegenheit wieder und wieder ins Bewusstsein der Mitarbeiter gebracht. Google hat eine eigene Innovationsphilosophie: „Ideen kommen von überall. Jeder Googler in jeder Position und in jeder Abteilung braucht Innovation. Selbst in unterstützenden Funktionen wie Finanzen.“ Mit Grundsätzen und Philosophien wie diesen werden die Strategien des Top Managements untermauert und zu einer lebendigen Kultur weiter entwickelt.
3. Denkfabrik statt Tretmühle – Kreative Denk- und Arbeitsstrukturen
Manager haben es gelernt, Prozesse zu entwickeln, zu optimieren und zu kontrollieren, Regeln aufzustellen, Schnittstellen zu identifizieren und die Prozesseffektivität zu messen. In fast allen Bereichen eines Unternehmens macht das auch Sinn. Nur in einem nicht: Kreativität. Die weltweit innovativsten Unternehmen haben Arbeitsstrukturen geschaffen, die kreatives Denken fördern und zulassen.
4. Kreative Dream Teams statt Innovationsverwaltung
Menschen zu finden und so miteinander zu vernetzen, dass sie zusammen mehr erreichen als jeder von ihnen alleine – eine wesentliche Aufgabe für das Management kreativer Unternehmen. Kleine bereichsübergreifende Teams mit einer Vielzahl unterschiedlicher Perspektiven, ausgestattet mit einem hohen Maß an Autonomie und klaren Zielen. Mit Mitarbeitern, die so sehr für das Thema „brennen“, dass sie ihre Köpfe nicht einfach nach Feierabend abschalten. Diese Managementaufgabe haben wir in einer erstaunlich großen Anzahl hochinnovativer Unternehmen vorgefunden, in der die Arbeit mit kreativen Dream Teams fester Bestandteil der Unternehmensphilosophie ist. Der Gedanke, ein Innovationsprojekt an die „Fachabteilung“ zu delegieren und von dieser betreuen zu lassen, ist ihnen fremd. Stattdessen setzen sie auf kleine Teams, die schnell denken, schnell kommunizieren und schnell handeln.
5. Risiko- und Experimentierkultur
In den vergangenen Jahrzehnten wurden hunderte von Managementinstrumenten entwickelt, deren Ziel vor allem darin bestand, Risiken zu minimieren. Diese Managementinstrumente sind in vielen Bereichen eines Unternehmens äußerst sinnvoll. Bloß zu einem Entwicklungsprozess gehören sie nicht unbedingt dazu. Die weltweit innovativsten Unternehmen haben dies zum größten Teil erkannt. Marktanalysen, Kundenbefragungen, Konzepttests und andere Mittel sind zwar nicht abgeschafft, die Unternehmen haben jedoch ihre Abhängigkeit von diesen Instrumenten drastisch verringert. Denn sie führen oft zu einem Entscheidungsvakuum: Weil die Marktforschung dagegen spricht, traut sich niemand, eine klare Entscheidung zu treffen. Die Folge: Es wird die nächste Analyse in Auftrag gegeben oder eine Entscheidung vertagt.
6. Katalysatorische Führung – die neue Rolle des Managements
„Befehl! Vorrücken!“ Das alte Verhältnis zwischen Chefs und ihren Mitarbeitern war vor allem von Befehl und Gehorsam geprägt. Der Vorgesetzte ordnet an, der Mitarbeiter führt aus. Diszipliniert. Korrekt. Ohne Widerspruch. Hierarchien, die an das Militär erinnern.
Schwer vorstellbar, dass sich Ideen auf die gleiche Art und Weise erzeugen lassen. „Geistesblitze! Jetzt zünden!“ Kreativität und klassisches Chef-Mitarbeiter-Denken vertragen sich nur schwer miteinander. Entsprechend sind Führungskonzepte stark im Wandel. Die Managementkonzepte und –philosophien der weltweit innovativsten Unternehmen unterscheiden sich fundamental von denen, die notwendig sind, um das operative Geschäft voranzutreiben. Ein Führungsstil, bei dem Manager als Katalysatoren neuer Ideen wirken, ist für innovative Unternehmen extrem wichtig.
Die Herausforderung: Das Unternehmen der Zukunft schaffen
In den nächsten Jahren werden sich mehr und mehr Manager diesen Denkansätzen stellen müssen. Denn mehr und mehr werden Unternehmen daran gemessen werden, wie viele Ideen und wie viele erfolgreiche Ideen sie etablieren können. Für das Management erfordert das – auf allen Ebenen – ein Umdenken. Denn Kreativität, das ist bei unserer Untersuchung deutlich geworden, ist nicht etwas, was man am Anfang eines Innovationsprozesses benötigt. Jedes Projekt, jede Arbeitsgruppe und jeder Prozess ist so gestaltet, dass Hindernisse durch kreative Lösungen schnell und unkompliziert überwunden werden können, Entscheidungen schnell und unbürokratisch getroffen werden und so Ideen dort entstehen können, wo andere Unternehmen stecken bleiben.