Interview mit Wolfgang Brickwedde zur ICR-Studie „Quo Vadis Recruitment 2010“

Wolfgang Brickwedde – Director, Institute for Competitive Recruiting (ICR), Heidelberg

Wolfgang Brickwedde ist Leiter des Institute for Competitive Recruiting. Bis Ende 2009 verantwortete Wolfgang Brickwedde bei SAP die Personalbeschaffung und das operative Personalmarketing in der Region EMEA. Vor seiner Zeit bei SAP war Wolfgang Brickwedde bei Royal Philips Electronics in unterschiedlichen Management Funktionen in den Bereichen Employer Branding, Recruitment und
Management Development für verschiedene Länder verantwortlich.

Er ist Gründungsmitglied und war von 2007 bis 2009 Sprecher des Vorstandes des dapm (der arbeitskreis personalmarketing) und Vorstandsmitglied der HR Alliance von 2008 -2009.
In seiner Zeit bei Philips, als auch bei SAP hat Wolfgang Brickwedde sich mit den Themen (Social Media) Recruitment, Employer Branding und Talent Management beschäftigt. Das Institute for Competitive Recruiting ist eine Plattform mit dem Ziel, das Recruitment in Deutschland zu verbessern.

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In Ergänzung zu unserem Artikel zur ICR-Studie „Quo Vadis Recruitment 2010“ haben wir Wolfgang Brickwedde hierzu noch interviewt.

Hallo Wolfgang, wie kam es zu der Studie „Quo Vadis Recruitment 2010?“ und wie viele Unternehmen aus welchen Umfeldern haben mitgemacht?

Hintergrund und Anlaß für die Studie war, daß die eigentliche Kernfrage des Recruitments, „Wie können wir möglichst effizient und effektiv die richtigen Menschen für offene Positionen finden?“, oft durch aktuelle Themen wie Employer Branding oder Social Media Recruiting überlagert und in den Hintergrund gedrängt wird. Fragen, wie müssen Unternehmen aufgestellt sein (z.B. prozessual, organisatorisch, finanziell und technisch), um diese Thematik professionell angehen zu können, werden bisher unzureichend diskutiert. Antworten auf eben diese Fragen gibt „Quo Vadis Recruitment 2010“,die erste deutsche Studie, die einen Überblick über den Status des Recruitments in Deutschland gibt. Als erste Untersuchung ihrer Art beleuchtet sie das Recruitment in seiner Funktion, Finanzierung und Organisation, spürt aktuelle Top-Themen der Branche auf und fragt nach der Zufriedenheit mit getroffenen Entscheidungen.

Im Detail beantwortet die Studie u.a. diese Fragen: Welche Recruiting Themen sind 2010 in aller Munde? Wie finanzieren und organisieren die anderen eigentlich Recruitment? Social Media Recruiting – Hype oder schon realer Recruitingkanal? Was machen erfolgreiche Unternehmen anders?

Die 120 Teilnehmer an der Studie kommen relativ gleichmäßig verteilt aus allen Wirtschaftsbereichen. Unternehmen aller Größenklassen sind in der Studie vertreten. Einen leichten Überhang in der Beteiligung zeigen die Größenklassen unter 100 MA,  1001-5000 MA mit jeweils 17,9% und Unternehmen mit mehr als 100.000 MA mit 12,8 %.

Wie erklärst Du Dir das Ergebnis, Social Media Recruiting wird zu einem Hypethema?

Social Media Recruiting ist zwar das „Hypethema“ in 2010 und belegt daher noch vor Reporting und Controlling und Personalmarketing den ersten Platz der drei Themen, die in 2010 höher auf der Agenda der Unternehmen stehen. Bei der Frage nach den TOP-Themen insgesamt hält der Trend zu professionellerem Employer Branding und Hochschulmarketing weiter an, danach folgt das Thema Professionalisierung des Recruitments an sich auf Platz 3. In diesem Bild liegt Social Media Recruiting erst auf dem sechsten Platz. Insgesamt scheint mir, daß das Thema Social Media Recruiting im Moment von Neugier, Unsicherheit und Unkenntnis beherrscht wird, da Social Media Recruiting bei der Frage nach der Aufstellung der Unternehmen zu diesen Themen auf dem letzten Platz auftaucht.

Welche Social Media Tools werden derzeit vorrangig wie für das Recruiting schon genutzt?

Beim Blick auf die relative Nutzung von Social Media Tools liegt Xing vor Google und Facebook.

Der Blick auf die absolute Nutzung zeigt, daß 2/3 aller Unternehmen Twitter, LinkedIn und Blogs überhaupt nicht nutzen.  Nur etwas über 5 % der Unternehmen geben an, regelmäßig zu twittern um Bewerber zu erreichen bzw. Werbung für sich als Arbeitgeber zu machen. Über Social Media Recruiting Kanäle kommen bisher ca.

8 % der Bewerbungen bzw. Einstellungen zustande. Die Businessnetzwerke wie Xing scheinen im Moment eher als Recruiting Kanal genutzt zu werden, wohingegen in Netzwerken wie Facebook eher Personalmarketingaktivitäten ausprobiert werden.

Dies muß nicht so bleiben. Entsprechende Software Tools, die in Social Media Netzwerken implementiert werden, können aus einem bisher eher für Personalmarketing genutztem Netzwerk schnell einen effektiven Recruiting Kanal machen.

Bisher sind laut der ICR-Studie 2/3 der Unternehmen im Social Web noch nicht aktiv. Wie wird sich dies in Zukunft weiterentwickeln?

Im Moment sind die potentiellen Bewerber in ihren Aktivitäten im Social Web den Unternehmen weit voraus.

Aber noch sind nicht alle potentiellen Zielgruppen in gleicher Quantität und Qualität im Netz aktiv. Jedes Unternehmen ist gut beraten, zunächst die Besonderheiten der eigenen Zielgruppen zu analysieren, bevor es facebook Seiten aufbaut, anfängt zu twittern oder Videos auf YouTube einstellt, nur weil es alle machen.

Diese Analyse wird bei vielen Unternehmen durchaus dazu führen, sich näher mit dem Social Web zu beschäftigen. Hierbei gilt es zunächst zu beobachten, wie es funktioniert. Nichts ist peinlicher, als wie ein Elephant im Porzellanladen aufzutreten. Social Media muß im Unternehmen gelebt werden, die Zielgruppe tut es auch. Wenn die Entscheidung für ein Engagement im Social Web auf Basis einer Strategie gefallen ist, so darf damit nicht ein Praktikant oder Diplomand betraut werden! Social Media ist Kommunikation. Social Media Recruiting ist authentische Kommunikation mit potentiellen Bewerbern über das Unternehmen. Es dient der (Selbst-) Selektion der Besten unten den Passenden.

Social Media spielt hinsichtlich des Outputs noch keine große, aber eine wachsende Rolle bei Bewerbungenanzahl und Besetzungen von Stellen; ebenso bei Personalmarketingaktivitäten.  Probieren – immer im Rahmen einer Strategie – geht hier (noch) über studieren.

Welche Recruitingkanäle sind derzeit aus der Sicht der Unternehmen besonders effizient?

Die meisten Bewerbungen erhalten die Unternehmen über Online-Jobbörsen.Die eigene Karriereseite folgt auf dem zweiten Platz. Eigene Mitarbeiter und deren Empfehlungen kommen auf die Plätze 3 und 4. Dieselbe Reihenfolge ergibt sich auch bei den Einstellungen. Über den Kanal Social Media Recruiting kommen bisher nur 7-8 % der Bewerbungen bzw. Einstellungen zustande. Das reicht im Moment nur zu Platz 8.

Bei der Frage, aus welchen Quellen realisieren Unternehmen relativ zu den Bewerbern mehr Einstellungen als aus anderen, welche sind also am effizientesten? Hier führen die Kanäle Mitarbeiterempfehlungen vor internen Bewerbern und externen Sourcingdienstleistern.

In welchem Kontext siehst Du persönlich derzeit die Hypethemen Social Media Recruitment und Social Media Personalmarketing?

Wenn man Social Media Recruitment nur auf die Besetzung einer konkreten Stelle reduzieren will und Social Media Personal Marketing die Botschaft des Unternehmens als Arbeitgeber kommunizieren soll, dann wird es eine „sowohl/alsauch Bewegung“ geben. Die Zielgruppen werden sich noch weiter dem Web zuwenden, die Unternehmen müssen mitgehen. Unternehmen, die schnelle Recruitingerfolge benötigen, nutzen die entsprechenden Social Media Kanäle zur Bewerbersuche, Qualifaktion und Ansprache. Parallel werden jetzt schon Communities ( Freunde, fans, follower, Gruppenmitglieder etc.) aufgebaut denen ein authentischeres Bild vom Unternehmen als Arbeitgeber vermittelt werden soll.

Social Media Personalmarketing ist langfristiger angelegt, muß aber ohne größere Brüche mit dem Recruiting vernetzt werden, damit die mittel- bis langfristige Existenzberechtigung (Und was bringt das alles?) erhalten bleibt.

Wohin wird sich das Recruitment im Social Web in Zukunft entwickeln?

Aufgrund der vorherrschenden Neugier gepaart mit großer Unkenntnis der Möglichkeiten könnte ich mir etwa einen „strategischen Pfad“ wie folgt vorstellen:

1. Stufe: „Laissez-faire“ Social Media  Ansatz

Abwarten und Teetrinken – Evtl. vorhandene Aktivitäten werden nicht gemanaged oder koordiniert. Erst mal ausprobieren, mal schauen was dabei herauskommt.

2. Stufe: „Post-and-pray“ Ansatz

Social Media wird nur als ein weiterer Kanal zur Kommunikation von Stellenangeboten genutzt.

3. Stufe: Recruiterbasierte Strategie

Recruiter werden neben Ihrer Recruitingtätigkeit mit allerlei Social Media Aktivitäten beauftragt (ob sie da nun Zeit zu haben oder nicht)

4. Stufe: Employer Brand Management Strategie

Social Media wird genutzt, um die Wahrnehmung des Unternehmens als Arbeitgeber zu bewerten und zu beeinflussen. Hierzu werden Inhalte über Mitarbeitererfahrungen über Social Media Kanäle distribuiert.

5. Stufe: Kombinations-Strategie

Alle Employer Branding und Recruiting Aktivitäten im Social werden von einer Person oder einem Team von Personen orchestriert und organisiert 6. Stufe: Mitarbeiterzentrierte Strategie Exponentielle Steigerung der Sichtbarkeit eines Unternehmens in Social Media durch die Nutzung von möglichst vielen Mitarbeitern als authentische, direkte Multiplikatoren unter der Federführung der Recruitment Organisation.

Eine Facebook-Seite, ein Twitter-Account ist schnell eingerichtet. Ist das schon Social Media Recruiting? Was ist das Ziel, wie wird es gemessen? Die effektivsten Aktivitäten im Social Media Recruiting basieren auf einer unternehmensspezifischen Strategie (Bekanntheitsgrad erhöhen, Zugang zu IT Leuten sichern, etc), die eine Zielgruppenanalyse beinhaltet (Wo informieren sich die Zielgruppe bei der Berufswahl oder bei einem Wechsel?, worüber reden die überhaupt?), die eine zielgerichtete Umsetzungsplanung (Was sind die geeigneten Tools und Kanäle um die Zielgruppe zu erreichen? Nicht jeder muß twittern!) mündet. Das Ganze wird von einem Controlling unterstützt, daß evtl. Fehlsteuerungen erkennt und ausgleichen kann.

Ist eine solche Strategie erst einmal erarbeitet, kann ein Unternehmen auch entscheiden, welche der Komponenten es selber durchführen und welche es, aus Kompetenz und/oder Kapazitätsgründen, extern an Zulieferer vergeben will.

Wolfgang, vielen Dank für das sehr aufschlussreiche Interview. Wir sind auch gespannt, was die Social Media Personalmarketing Zukunft so bringen wird.

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